Sonntag, 4. Mai 2014

Der Streit um die Zwischenmahlzeiten

Ich hab letzthin auf eltern.de einen witzigen, sehr pointierten Artikel über Zwischenmahlzeiten gelesen, der mich zum Nachdenken gebracht hat. Verlernen unsere Kinder den Hunger?

Jetzt lassen wir die Kirche mal im Dorf. Weder der kleine Mann, noch ich und meine Eltern-Generation haben je wirklich hungern müssen. Und das ist ja auch gut so.
Aber ich habe schon das Gefühl, dass Essen immer selbstverständlicher JEDERZEIT verfügbar ist. Und viele gutmeinende Mütter und Väter von Kleinkindern niemals das Haus verlassen, ohne jede Menge Reiswaffeln dabei oder den nächsten Bäcker schon im Visier zu haben.

Ist das die richtige Botschaft für unsere Kinder? 
Ich gebe zu, die Frage ist rhetorisch. 
Aber diese nicht: Ist das überhaupt gesund?

Schon aus Vergesslichkeit gehöre ich nicht zu den Eltern, die immer ein komplettes "Verpflegungsset" dabei haben. Und auch nicht zu denen, die ständig ihrem Junior etwas zu Essen anbieten, ohne dass der irgendein Anzeichen von Hunger oder auch nur Appetit zeigt.
Auch da verlasse ich mich lieber auf Instinkt, aufs Gefühl. Und auch ein Kind, das noch nicht sprechen kann, gibt einem Zeichen, wenn es etwas zu Essen braucht. Und ich vertraue einfach darauf, dass ich an meinem Kind erkenne, wie viel es gerade braucht.

"Kinder haben kleine Mägen und einen großen Energiebedarf," so die Autorin Gabi Eugster. "Schon ein neunjähriges Mädchen braucht fast gleich viele Nährstoffe und Energie wie seine Mutter, hat aber nur einen halb so großen Magen." Einleuchtend, dass dann eine Nahrungszufuhr in mehreren kleineren Portionen notwendig ist.
"In der Pubertät wächst der Energiebedarf während des Wachstumsschub dann enorm (über 3.000 kcal/Tag) und übersteigt jenen der Eltern um einiges. Den Energiebedarf in drei Mahlzeiten zu decken, würde das Verdauungssystem überfordern."

Das spricht also dafür, dass Kinder Zwischenmahlzeiten bekommen. "Nun gilt es zwischen 'Snacken' und dauerndem Hineinschieben von Nahrung ('Grazing' = Grasen) zu unterscheiden," so Eugster weiter. Was für ein nettes Bild - eine Herde grasender Kleinkinder... hihi. Nur dass der Mensch kein Weidetier ist.

Und ich erinnere mich an ein weiteres Argument gegen dauernde Magenfüllung - dann ist der nämlich nie ganz leer. Magenknurren, so beschreibt es "Darm mit Charme"-Autorin Endersbedeutet nämlich nicht zwingend, dass wir Hunger haben. Sondern nur, dass der Magen leer ist und "mal gründlich durchgefegt wird". Also alle Speisereste weitergeschoben werden.

Auf welche Seite der Diskussion schlage ich mich nun?

Ich denke, es ist wichtig, dass ein Kind alle menschlichen, in ihm angelegten Gefühle "erlernt", das heißt dass diese zugelassen werden. Und genauso wie Angst, Wut oder Freude kennengelernt werden müssen, sollte auch eine unangenehme körperliche Empfindung wie Hunger wahrgenommen werden. 
Wobei, am Anfang seines Lebens kennt ein Kind das Gefühl, hungrig zu sein, genau. Und schreit. Und wenn es satt ist, hört es auf zu trinken. So einfach ist das. 
"Dies ist grundsätzlich der Idealzustand der Ernährung: Der Mensch beginnt zu essen, wenn er hungrig ist, und beendet die Mahlzeit, wenn er satt ist. Nur funktioniert dieser Mechanismus in der Überflussgesellschaft nicht lebenslänglich. Denn mit der Zeit überlagern Reize von außen immer mehr den Hunger und die Sättigung," so wieder Eugster.

Diese Reize können, denke ich, schon dazu führen, dass ein Kind gar nicht lernt, wie viel Nahrung ihm gut tut, vor allem wenn es nicht mehr mit dem Gefühl "Hunger" umgehen muss. Denn nur was man kennt, damit kann man auch richtig umgehen. Wissen, wann man bald etwas essen muss. Und auch, was passieren kann, wenn man das Gefühl zu lange ignoriert. Und erst das wohlige Gefühl wenn man richtig großen Hunger hatte, und dann richtig satt ist!

Fehlt das völlig, dann glaube ich auch, dass man sich an einen solchen nicht abreißenden Strom von Essen - ich schreibe hier jetzt bewusst nicht "Nahrung" - gewöhnt. Ohne ihn wirklich zu brauchen. Und wenn dann mal ausnahmsweise kein Essen verfügbar ist (Stau...), dann wird eine halbe Stunde Hunger vermutlich unerträglich... und das Kind dazu.
Und genauso muss man auch ein gewisses Maß an Körpergefühl haben, um zu wissen, wann man GENUG gegessen hat.
"In Situationen oder Zuständen, in denen Sie achtlos und automatisch essen - und das wird immer wieder passieren - kann ihr Körper derjenige sein, der die Notbremse zieht [...]. Ein gut entwickeltes Körperbewusstsein schützt Sie davor, zu viel zu essen oder zu Speisen zu greifen, die Ihnen nicht bekommen," so der Autor Roland Schweppe, der den Zusammenhang zwischen Achtsamkeit und Essverhalten beleuchtet.

Die ständige Verfügbarkeit von Nahrung ist ja auch ein relativ neues Phänomen unserer Zeit, meine ich. Über Jahrtausende war es für den Mensch normal, dass er Hunger hatte, wenn nicht sogar in manchen Phasen hungern musste. Das mit der Verfügbarkeit ist ja eh ein Phänomen, der für uns Fluch und Segen zugleich ist. In Zeiten der Email geht Kommunikation schneller - stresst uns aber auch schneller. Mobil ständig erreichbar? Leider auch für den Chef... Aber jetzt drifte ich ab.
"[...] während der Überfluss bei uns einerseits dekadente Dimensionen erreicht hat, klagen auf der anderen Seite so viele Menschen wie nie zuvor über Depressionen, Burn-out und innere Leere. Äußere Fülle scheint also keine Garantie für innere Zufriedenheit zu sein; und wer weiß: Vielleicht trifft sogar eher das Gegenteil zu..." so Schweppe weiter. Wenn Essen als Ersatz für Zeit, Zuwendung oder Nähe eingesetzt wird, dann tut das einem Kind mit Sicherheit nicht gut. "Viele Menschen, die an starkem Übergewicht leiden, führen ihre Gewichtsprobleme darauf zurück, dass sie schon von Kindheit an dazu erzogen wurden, Essen als Ersatzbefriedigung zu benutzen."

So viel steht mal fest: Wir machen unsere Kinder nicht glücklich, indem sie jederzeit etwas zu Essen bekommen. 



Quellen: Gabi Eugster "Kinderernährung gesund & richtig" - 2012, "Darm mit Charme" von Giulia Enders - 2014, Artikel auf eltern.de, Wikipedia-Eintrag zu Hunger, Roland Pierre Schweppe "Schlank durch Achtsamkeit" - 5. Auflage 

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