Montag, 11. April 2016

Du bist was Du isst?!

Oh, wie ich diesen Spruch hasse! Ja, HASSE.
Ich bin also fettige, matschige Lasagne, und Du bist ein Grünkohl-Apfel-Smoothie?  Ich bin also disziplinlos und fett... und Du bist hip und rank und schlank...? Ja? JA?!
Ich sag nur Essen in gut und böse einteilen



Anfang März fand ein Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ernährung unter dem Motto "Der Mensch ist, was er isst" statt und bezog sich dabei ebenfalls auf das Zitat von Ludwig Feuerbach aus dem 19. Jahrhundert. Weniger wörtlich wird es dort verstanden, sondern als Ausdruck dafür, dass "Essen, Nahrung und Ernährung [...] wichtige Ausdrucksmittel für soziale Beziehungen und Kommunikation" sind. So weit herrscht denke ich Einigung.

Aber auch im wörtlichen Sinne: Wer nur Mist isst, kann von seinem Körper nicht erwarten, dass der das alles ausgleicht und trotzdem strotzt vor Energie und Gesundheit.
Aber was genau "Mist" ist, das ist eben die Frage. Denn dass eine gesunde Ernährung immer aus der Summe der Teile besteht, und es deshalb nie ein Lebensmittel alleine ausmacht, das hatten wir ja schon.

Und auch die Menge, die ein Mensch essen kann bzw. sollte ist eben von vielen Faktoren abhängig und nur in Normen darzustellen, in die der Einzelne, vor allem als Kind, mehr oder weniger gut hinein passt - ich sag bloß Entwicklungsschub...

"Im Hinblick darauf, wie viel sie essen, scheinen Kinder [...] eine erstaunliche Fähigkeit der Selbstregulierung zu haben," stellt Alfie Kohn fest. "Es sei denn, wir versuchen, das Kommando über ihren Körper zu übernehmen. Vor ein paar Jahren führten zwei Ernährungswissenschaftler* [...] einen faszinierenden Versuch durch. Sie beobachteten 77 Kinder zwischen zwei und vier Jahren und brachten in Erfahrung, inwieweit ihre Eltern Kontrolle über ihre Essgewohnheiten auszuüben versuchten. Sie stellten fest, dass" den stark kontrollierten Kindern "die Fähigkeit, ihre Kalorienaufnahme zu regulieren, abhanden gekommen war. [...] Die Kinder [...] hörten auf, den Hinweisen ihres Körpers darüber, wann sie Hunger hatten, zu vertrauen. Eine Folge: Viele von ihnen begannen schon dick zu werden."

Kontrolle bedeutet eben auch, seine persönlichen Vorstellungen auf das Kind zu übertragen und Essen ein Image zuzuschreiben, das da eventuell gar nicht hingehört. Insofern ist beim Thema Kinderernährung weder überschwengliches Lob noch regelmäßiger Tadel oder Druck angebracht. 
Stattdessen sollten wir lieber auf die angeborene somatische Intelligenz unserer Kinder vertrauen - also "die Fähigkeit des Körpers, durch Lust, Geschmack, Abneigung und Bekömmlichkeit zu zeigen, was er braucht und was nicht." so beschreibt es Thomas Frankenbach, der den Fachbereich Ernährung und Bewegung in einer Rehaklinik leitet und schon einige Bücher zum Thema veröffentlicht hat.

Kinder können das - wenn wir es Ihnen nicht abtrainieren. Aber auch für Erwachsene gilt: indem ich meine Wahrnehmung schule, auf meine körperlichen Signale achte (statt sie immer wieder zu ignorieren) - vor, während und nach dem Essen - kann ich für eine optimale Ernährung sorgen, ohne Diät, Ernährungsplan & Co. Vorraussetzung: ZEIT, keine Ablenkungen, sprich: Essen ohne Autopilot.

Eine Einteilung von Essen in gut/schlecht ist nicht richtig und nicht nötig wenn man auf die somatische Intelligenz vertraut und sich bewusst ist, dass jeder Mensch anders ist - und deshalb anders isst.
Achtsam sein bedeutet hier eben auch: nicht werten, sondern gegenwärtig das erleben, was passiert. Wenn es mir nicht gut tut, darf und sollte ich aufhören.

"Eine optimale Kost ist die, auf die wir Lust haben, die uns schmeckt und die uns gut bekommt. Dann haben wir das Wollen und Brauchen vereint und keine Gewichtsprobleme mehr, weil eine Kost, die dick macht, unseren Gelenken und unserem Wohlbefinden eben gar nicht gut tut. Das Ergebnis sind in der Regel glücklichere Menschen" so Frankenbach über seine Erfahrungen mit somatischer Intelligenz.

Das klingt gut. Du bist was Du isst?! 
Du isst was Du isst! Und zwar am Besten das, was Dein Bauch Dir zugrummelt, wenn Du ihm gut zuhörst.

Quellen: Alfie Kohn "Liebe und Eigenständigkeit" (S. 70/71),  Interviews mit Thomas Frankenbach über somatische Intelligenz im SPIEGEL und und in der Brigitte 7/2015, 53. DGE-Kongress 
*Johnson und Birch aus Illinois