Montag, 31. März 2014

Abwechslungsreichtum

Ich versuche, für den kleinen Mann immer wieder etwas Neues zu kochen, oder neu zu Gerichten zu kombinieren. Eben eine möglichst abwechslungsreiche Ernährung. Das war weniger eine bewusste Entscheidung, als eine intuitive. 

Klar, ganz am Anfang hält man sich an einige wenige Breisorten. Und kocht manchmal lieber Bewährtes, bevor der Nachwuchs isst wie ein Spatz... Aber selbst in dieser Zeit gab es bei uns mal Rote Beete und Sellerie zum Probieren.

Inzwischen habe ich mich dann gefragt: Mache ich das eigentlich richtig so? Oder ÜBERFORDERE ich mein Kind? 

Der junge Mann kann sich ja schließlich noch nicht wehren, solange er nicht ("richtig") sprechen kann. Und man liest doch immer "Kinder lieben Vertrautes" und "Rituale geben Sicherheit" - gilt das dann auch fürs Essen?
Also doch jeden Abend Käsebrot... ?

"Die Kost für ein Kleinkind sollte abwechslungsreich und vielseitig sein" so der Kinderarzt Largo. So weit, so gut. Aber ich bezweifle, dass die Definition von abwechslungsreich und vielseitig in diesem Zusammenhang bei allen Eltern gleich ist. Oder auch nur ähnlich. Außerdem hätte ich da schon gerne ein paar Gründe, wieso.

"...das Schmeckenlernen und Probieren macht [...] schlau. Wenn Kinder von klein auf abwechslungsreich und vielfältig essen, dann wird das Gehirn ständig gefordert. Schließlich muss es alle Geschmackseindrücke erkennen, zuordnen und verarbeiten. Die Sinne werden so [...] geschult, es ist ein dauernder mentaler Lernprozess" lese ich an anderer Stelle.
Das "macht schlau" finde ich etwas pointiert. Aber dass das Gehirn damit trainiert wird, klingt doch schon mal ganz einleuchtend.

"Kinder, die differenziert schmecken lernen, werden sich auch gesund ernähren können" lese ich weiter.
Hm. Das setzt einen ja schon ein bisschen unter Druck... Ich muss also alles richtig machen, damit mein Kind sich gesund ernähren kann? Und im Umkehrschluss: Wenn ich Fehler mache, bin ICH allein schuld, wenn mein Kind sich später nicht gesund ernährt?

Ich glaube nein. Das ist mir zu schwarz/weiß. Und finde Bestätigung bei Jesper Juul, dem bekannten dänischen Familientherapeuten: Es "wird [...] dazu kommen, dass Kinder um das 12. oder 13. Lebensjahr 'jegliches Junkfood in sich hineinstopfen, das zu kaufen sie sich leisten können.' [...] In diesem Alter lösen sich die Kinder von ihren Eltern und ihren Normen."
Das kann ich nur bestätigen - ich saß schließlich auch mal heimlich mit dem Nutella-Glas unterm Schreibtisch...

Außerdem lese ich bei Largo auch noch: Eine amerikanische Studie hat ergeben, dass Kinder sich, auch wenn sie die Speisen selbst auswählen dürfen, nur kurzfristig einseitig ernähren. "Der Körper reguliert über längere Zeitspannen das Essverhalten unbewusst so, dass das Kind [..] alle wichtigen Nährstoffe zu sich nimmt, wenn das notwendige Angebot an Nahrungsmitteln zur Verfügung steht." Also: anbieten, anbieten, anbieten - aber das Kind selbst wählen lassen.

Weitere Argumente liefert nicht nur das Gehirn, sondern auch der Darm. Dass der nicht nur unsere Nahrung verdaut, sondern sein Zustand unseren gesamten Körper beeinflusst, ist ja mittlerweile relativ bekannt. Unter anderem besteht ein enger Zusammenhang zum Immunsystem, zu Allergien, Hautkrankheiten und nach neueren Erkenntnissen sogar Depressionen.
Und für unseren Darm ist laut Giulia Enders, die momentan die Paperback-SPIEGEL-Bestseller-Liste im Sachbuch anführt, eine Ernährung morgens Brötchen - mittags Nudeln - abends Pizza einfach nix. Denn das ist alles derselbe Weizenbrei. Und dafür ist unser Darm eigentlich nicht ausgelegt. 

Dadurch verschwinden nämlich Darmbakterien, die sich zum Beispiel von ballaststoffreichem Essen ernähren, auf lange Zeit. Sie verhungern. Dazu kommt, dass immer mehr Menschen die immer größeren Mengen Weizen bzw. den darin enthaltenen Weizenkleber (Gluten) nicht vertragen - sie haben eine Glutensensitivität*.
Doch für einen gesunden Darm ist die Vielfalt der Bakterien "mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten" wichtig. Denn die liefern unserem Körper Nährstoffe, indem sie das Essen im Dickdarm zerlegen, wo der seine eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Und manche Helferlein liefern uns dabei "besonders gesunde Endprodukte" oder "stellen dabei ganz neue Stoffe her."

Je nachdem, welche Bakterien im Darm von Herrn X besonders häufig vorkommen, kann es also sein, dass er bei gleicher Kalorienzufuhr trotzdem dicker ist als sein Nachbar. Positiv ausgedrückt holt seine Darmflora "eventuell einfach mehr aus dem Essen heraus." Oder nicht so positiv: Man hat "bei Studien mit übergewichtigen Menschen [...] festgestellt, dass in ihrer Darmflora insgesamt weniger Vielfalt herrscht und bestimmte Bakteriengruppen überwiegen, die vor allem Kohlehydrate verstoffwechseln."

Laut Enders sind wir also sozusagen unser "eigene[r] Gärtner der Welt im Bauch". Und können durch unsere Ernährung zum Teil selbst beeinflussen, ob wir eine gesunde (Darm-) Flora im Gleichgewicht haben, mit vielen nützlichen Pflanzen, oder eben hauptsächlich Unkraut. "Wenn Gutes und Schlechtes in einem richtigen Verhältnis steht, kann uns das Schlechte abhärten, während das Gute uns pflegt und gesund hält."

Das lässt mich doch erleichtert aufatmen. Ich bin also auf dem richtigen Weg. Und das bestärkt wieder Mal meinen Glauben, wie wichtig es für eine Mutter - und nicht nur die - ist, eine gute Verbindung zur eigenen Intuition zu haben.


* Im Gegensatz zur Zöliakie, bei der der Verzehr von Weizen starke Entzündungen im Darm auslösen kann - diese kommt nur bei einem von hundert Menschen vor.

Quellen: "Echte Wurst hat kein Gesicht" von Annette Sabersky und Dr. Jörg Zittlau,  "Babyjahre" von Remo H. Largo - Auflage 2012, "Darm mit Charme" von Giulia Enders - 2014, KulturSPIEGEL-Paperback-Bestseller-Liste 14/2014

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