Montag, 13. April 2015

Der Süßigkeitenteller Oder: Ernährungserziehung - bäh, was für ein Wort!

Das Wort "Ernährungserziehung" gefällt mir gar nicht. Das klingt nach Arbeit. Nach unangenehmer Arbeit. Und dem, der "ernährungserzogen" wird, kann das doch auch nicht gefallen.

Und sowieso das Wort Erziehung, das ich ohnehin nicht besonders leiden kann. Auch wenn es ein kleines Bisschen affig klingen mag, aber "Begleitung" gefällt mir viel besser. Oder, Frau Saalfrank: "Vergesst Erziehung! Denn jede Art von Erziehung dient nur als Schutzschild der Erwachsenen, um sich vor der Beziehung zu Kindern zu schützen. Kinder hingegen brauchen keine Erziehung, Kinder brauchen vor allem Beziehung!"
Nur, gerade jetzt, in dieser kleinen-2-3-Jährige-Pubertäts-Phase, hab ich schon öfter das Gefühl, man kommt gar nicht drum rum, auch mal zu ziehen und selbst deutlich nein zu sagen.  So wie in jeder Beziehung, in der einer gerade ziemlich egoistisch ist... Auch wenn ich mir, zumindest in guten Momenten, immer wieder Alfie Kohn in Erinnerung rufe: "Sagen Sie nicht unnötig nein"

Ein Grundsätzliches Nein zu Süßigkeiten, das kam weder für den Koch, noch für mich in Frage. "Genuss, Spaß und Gesundheit sind keine Gegensätze," meint wieder mal Frau Eugster. Das finde ich eben auch. Und für mich gehören auch Naschereien zum Leben dazu. Verzicht zu üben, ist immer mal wieder sehr sinnvoll (vor allem als Erwachsener) - aber wenn es zu extrem wird, "Zucker ist Gift für Kinder" oder so ähnlich, kann ich damit nichts anfangen.
Und der kleine Mann hat die süßen Sachen ohnehin ziemlich genau vor einem Jahr, nämlich an Ostern, für sich entdeckt und lieben gelernt. Und das ist auch gut so.

Den "Süßigkeitenteller" haben wir vor einer Weile eingeführt, um die - für beide Seiten - aber doch ziemlich nervigen, immer wiederkehrenden täglichen Diskussionen darüber, wann es wie oft welche Süßigkeiten gibt, zu beenden. Und dem ewigen Betteln Einhalt zu gebieten.
Prinzip: Wir haben einen kleines Schälchen benannt, das er sich jeden Tag - nach dem Mittagessen - mit Süßigkeiten füllen darf. Was es ist, darf er auswählen (was im Schrank zur Auswahl steht, haben wir ja vorher bestimmt) und auch, wann er die Süßigkeiten isst. Einzige Regel: Es gibt nur einen Teller pro Tag. Wenn er leer ist, ist er leer.

Und ich muss sagen: Es funktioniert sehr gut. Viel weniger Diskussionen. Die Verlässlichkeit sorgt dafür, dass die Süßigkeiten etwas Reiz verlieren. Der kleine Mann fühlt sich einbezogen und ernst genommen. Und er lernt, wie viel für ihn vernünftig ist und sich diese Menge selbst einzuteilen. Das Ziel von Frau Eugster formuliert: "Eltern trauen ihren Kindern nach und nach mehr Ernährungsentscheidungen zu und erziehen sie zu kompetenten jungen Menschen."

Er hebt sich zwar bisher so gut wie nie etwas auf, sondern isst alles immer sofort auf ein Mal - aber das ist ja auch sein gutes Recht. Und vor Kurzem beim Zahnarzt (der erste Besuch des kleinen Mannes) sagte doch die Ärztin tatsächlich: Süßes nicht über den ganzen Tag verteilt, sondern auf ein Mal ist viel besser für die Zähne. Ja, gut, von jedem Tag Süßigkeiten rät sie sicher ab. Aber manchmal, ja, da vergisst er den Süßigkeitenteller sogar. Und öfter mal isst er ihn nicht leer. Das sind dann die kleinen, heimlichen elterlichen Triumphe.

Laut einer Studie aus Illinois bieten Eltern, die übermäßig Kontrolle über die Essgewohnheiten ihrer Kinder ausüben ihnen "wenig Gelegenheit, ihre Nahrungsaufnahme selbst zu steuern und [die Kinder in der Studie] hörten auf, den Hinweisen ihres Körpers darüber, wann sie Hunger hatten, zu vertrauen." Diese Fähigkeit, mit der wir alle auf die Welt kommen, will ich dem kleinen Mann aber gerne erhalten. Und abgesehen davon erscheinen mir Kohns Äußerungen zu Motivation schon immer logisch: Ein Kind verhält sich nur dann anhaltend - auch ohne (autoritäre) Beobachtung - "richtig", d.h. sozial, moralisch, lernt und ist aufgeschlossen für seine Mitmenschen und die Welt, wenn es intrinsisch motiviert ist. Wenn es wirklich selbst daran glaubt oder daran interessiert ist. Und nicht, wenn es das nur für oder wegen der Eltern tut (oder für Noten oder eine Belohnung).


"Das Ziel ist klar: Am Ende der Kindheit müssen die jungen Erwachsenen fähig sein, sich selbstständig im Schlaraffenland zu bewegen, ohne sich durch Völlerei und (zu viel) Junk-Food langfristig zu schaden. Die Aufgabe der Eltern ist es, ihre Kinder zu befähigen, für sich selbst zu sorgen." 
Und letzteres gilt, für mich, eigentlich für die gesamte Erziehung. 

Pardon, Beziehung.


Quellen: Gabi Eugster "Kinderernährung gesund & richtig" - 2012, Katharina Saalfrank "Du bist ok, so wie du bist - Das Ende der Erziehung" - 2013, Alfie Kohn "Liebe und Eigenständigkeit" - 2010

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