Montag, 6. Juni 2016

Zucker ist nicht gleich Zucker

Fasching im Kindergarten. Der Junior freut sich wie Bolle.
Es gibt ein Buffet, jeder soll etwas mitbringen. Ich schaue mir also die Vorschläge auf dem Plakat an, auf dem man sich eintragen kann. Der Junior war ein paar Tage krank und ich stelle fest: alles schon vergeben, außer dem Rohkostteller. Tja.


Na ja, dass das nicht der beliebteste Beitrag sein wird, neben Gummibärchen, Pommbären *augenverdreh* und Keksen, ist mir klar. 
Also stehe ich im Morgendunkel in der Küche und schnitze Gesichter in Minigurken und fülle sie mit Frischkäse, damit sie aussehen wie Geister (nein, das ist nicht so aufwändig wie es klingt) und der Teller wenigstens ein bisschen was her macht.
Als meine Mutter den Nachwuchs samt Dino-Kostüm und Resten nachmittags in bester Laune nachhause bringt, bin ich dann aber doch geschockt. Der Teller ist noch VOLL. Ich meine, ehrlich, da fehlen höchstens 3 Teile. Aufgerundet!
Ach kommt, Kiddies, ehrlich?!

Tja, das ist wohl der Lauf der Dinge - das in uns angelegte Programm "süß = selten > Her damit!" werden wir nicht los.


"Der Zucker hat sie im Griff, die Kinder," mag der Zucker-Gegner nickend zustimmen, schließlich gilt er als einer der großen Bad Guys der Ernährung in den Medien - zuletzt habe ich eine Maischberger-Sendung gesehen, die den Titel "Süße Droge Zucker" trug. Mittlerweile wird alles auf seinen Zuckergehalt hin bewertet. "Apfelsaft hat mehr Zucker als Cola" hat mal ein Kollege beim Mittagessen gesagt. 
Ja. ABER. 
Pur kann man das tatsächlich annähernd vergleichen, etwa 10 g auf den Liter. Aber Vitamine, Ballaststoffe, ... Das alles ist in Cola eben nicht drin. Außer, dass Koffein bei manchen Menschen etwas aufputschend wirkt, ist da im Grunde nix drin außer Wasser und Zucker. Schmeckt halt nur süß (und lecker)...und aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn.
Und ich frage mich, inwieweit dieser Vorgang im Gehirn unsere somatische Intelligenz (vorübergehend) ausschaltet - auf diese Frage habe ich bisher noch keine Antwort gefunden.
Auch wenn die These, dass Zucker süchtig macht, umstritten ist - unsere Ernährungsgewohnheiten werden in den ersten Jahren geprägt, und wir halten uns an das, was wir kennen und lieben gelernt haben. Wer regelmäßig Softdrinks trinkt, für den schmeckt eine 1:3-Schorle halt fad...

Abgesehen davon gibt es verschiedene Arten von Zucker. Kohlenhydrate sind die wichtigste Energiequelle für den Körper, und die sind chemisch betrachtet alle Zucker = Energie = Leben. Also wichtig und gut. Das Gehirn greift fast ausschließlich auf Kohlenhydrate zurück. Sind wir "unterzuckert", fühlen wir uns müde und erschöpft und haben Schwierigkeiten, uns zu konzentrieren.
Beim Zucker kann man grundsätzlich unterscheiden: Apfelsaft hat Fructose, das ist ein Einfachzucker. Mehrfachzucker ist zum Beispiel in Kartoffeln enthalten, Haushaltszucker ist Zweifachzucker
Beides hat seine Berechtigung: Einfachzucker gibt sehr kurzfristig Energie - daher Traubenzucker für die gebärende Mutter oder Banane für den Sportler. Die Energie ist aber schnell auch wieder weg - und der Blutzucker geht wieder in den Keller. Wenn man sich also zu oft, in zu großen Mengen davon bedient, ist das wie Achterbahnfahren: Zuckerhoch > Tal + Heißhunger > Zuckerhoch > noch tieferes Tal, und so weiter. Das sorgt dafür, dass es keine langfristige Sättigung gibt. Bei Mehrfachzucker muss der Körper selbst mehr tun, um sie in Energie umzuwandeln. Außerdem bringen sie zumeist weitere Nährstoffe mit, die der Körper ebenfalls braucht. 
Bei einer sehr abwechslungsreichen Ernährung kommen beide Arten als wichtige Energielieferanten vor. Also, Zucker per se hat zu unrecht einen schlechten Ruf.

Allerdings ist auch Apfelsaft nicht gleich Apfelsaft. (Das weiß jeder, der schon mal frisch gekelterten Apfelsaft getrunken und dessen natürliche, ähem, abführende Wirkung erlebt hat.) Direktsaft enthält natürliche Fructose, einen wichtigen Energielieferanten der Natur - und begehrt, denn frische Früchte gab es früher nicht im Überfluss, sondern nur begrenzt in Menge und durch Saison.

Die Fructose, die die Industrie benutzt, um Softgetränke zu süßen, ist eine ganz andere Nummer. Ihr fehlen nämlich ihre natürlichen Begleiter, die nicht nur Süße, sondern tatsächlich auch weiteren Nährwert bringen. Zucker (oder Glucose-Fructose-Sirup), noch mehr zugesetzte Fructose allein, hat inzwischen keinen guten Ruf - ihr wird gar unterstellt, sie sei gesundheitsschädlich. Anders als Glucose macht sie nicht satt und geht bei sehr hohem Konsum direkt in die Leber und kann für einen markanten Anstieg des Blutfetts und Magen-Darm-Beschwerden sorgen.
Außerdem gibt es eben einen Haufen andere Stoffe, die die Industrie einsetzt und die *Chemietrottel, wie ich, aufgepasst* keine Mono- und Disaccharide sind, und in den Nährwertangaben deshalb nicht unter "Zucker" aufgeführt werden müssen.
Am Ende des Tages sieht es für mich so aus: Möglichst wenig Softdrinks, Apfelsaft verdünnen, noch besser - den Apfel essen, nicht trinken. Am besten zur Erntezeit, dann hat er durch Lagerung und Transport nicht viele Nährstoffe verloren. Denn die Blutfettwerte "natürlich" in die Höhe zu jagen, hieße kiloweise Äpfel zu verdrücken - regelmäßig.

Die Wahrheit ist: Es ist viel komplizierter als "Zucker ist schlecht". Ich weiß, dass ich nichts weiß, gilt halt auch für die noch relativ junge Ernährungswissenschaft, denn aus Beobachtungsstudien beim Menschen und Tierversuchen Handlungsempfehlungen für Jedermann abzuleiten, ist nun mal...sagen wir: fehleranfällig. Viele Warnungen vor einzelnen Komponenten von Nahrung mussten später relativiert oder zurückgenommen werden. Deshalb komme ich wieder mal an den Punkt: zurück zu den Ursprüngen, das Lebensmittel pur, SelbermachenWenn das nicht geht, gilt für mich für verarbeitete Lebensmittel die Regel "Wenn ich das selbst machen würde, würde ich da Zucker (oder süßende Zusatzstoffe) rein machen? Wenn ja, wie viel?" Und dann landen manche Dinge einfach nicht mehr im Einkaufskorb.

Die Alternativen, Xylit zum Beispiel, haben bei Maischberger vom Verbraucherschützer auch eins auf die Mütze gekriegt. Klar: auch Xylit aus dem Supermarkt ist nichts "Natürliches", sondern ein Produkt der Lebensmittelindustrie - und deshalb nicht "gesünder" oder "besser" als Haushaltszucker. Aber eben anders: es lässt den Blutzucker nicht so schnell ansteigen, hat weniger Kalorien und verursacht keinen Karies - und deshalb wird es auch weiterhin immer wieder in unserer Küche zum Einsatz kommen. Auch wenn ich weiß, dass es aus Holzabfällen hergestellt wird.

Ob man jetzt Zucker für eine Droge hält, oder nicht - unsere Aufgabe als Eltern ist es, unsere Kinder sicher zu führen durch eine Welt der Süßigkeitenregale, Eis-Stände und Kindergeburtstage. Wir sind dafür da, ihnen im Alltag Energie zu geben, wenn sie sie brauchen - und zwar nicht nur die, die schnell wieder verpufft, sondern auch die, durch die man groß und stark wird.
Für den Junior gibt es Zucker - aber eben möglichst wenig versteckten Zucker. Süßes wird als genau solches bezeichnet, deshalb heißt Fruchtjoghurt für den kleinen Mann "süßer Joghurt" und Knuspermüsli "süßes Müsli" - und bleibt die Ausnahme. Und wenn viel Zucker drin ist, dann soll man ihn auch schmecken und genießen! Der Süßigkeitenteller funktioniert für uns da sehr gut - und es gibt immer wieder Tage, an denen er gar nicht danach fragt.
Ich denke: weil der auf seinen Bauch hört, und nicht auf Ernährungs-Postulate...


Quellen: Informationen zur Herstellung von Fruchtsaft vom Verband der deutschen Fruchtsaft-Industrie, Informationen über Fructose und Obstkonsum der Apotheken-Umschau, Informationen über Xylit bei Wikipedia und dasistdrin, Artikel mit Tipps für den Umgang mit Zucker bei Kleinkindern beim That Sugar Film Blog "Sugar and the little ones", verwendete Namen für Zucker in der Industrie und Informationen über versteckten Zucker bei der Verbraucherzentrale, Zuckerarten bei Wikipedia und Südzucker

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen