Montag, 7. November 2016

Entschuldigung, haben Sie Weizenprobleme?

Bis vor Kurzem belegte die "Weizenwampe" als einziges Buch über Ernährung einen Platz auf der SPIEGEL-Bestsellerliste der Taschenbuch-Sachbücher - obwohl es schon 2013 erschienen ist.
Ein gut gewählter Titel, der mich unwillkürlich zusammenzucken lässt. Weizen an den Pranger gestellt? Und dann noch das Wort Wampe dazu... Hier scheint das gute alte Prinzip "Werbung funktioniert durch Angst" voll erfüllt.

Gerade scheint es in den Medien jedoch eher den Gegentrend zu geben, und es wird auch glutenfreie Ernährung, die der Autor Davis empfiehlt, reichlich kritisiert. Zumindest wenn sie als Allheilmittel daher kommt. Weizenwampe & Co sind umstritten. "Durch wissenschaftliche Studien nicht belegbare Behauptungen, Halbwahrheiten, Panikmache" - das sind die Vorwürfe.
Das Verteufeln eines einzelnen Lebensmittel scheint mir ohnehin selten die richtige Taktik zu sein. Also doch wieder nur ein Trend, bei dem 1 Kandidat für das gesamte Übel der essenden Bevölkerung verantwortlich gemacht wird?

Was würde Norman Borlaug, Friedens-Nobelpreisträger von 1970, dessen Entwicklung von Weizenhochleisungssorten den Hungertod von Millionen von Menschen in Entwicklungsländern abwenden konnte, dazu sagen? Ich sehe absolut ein, dass es sich beim "Weizenproblem" um ein "Luxusproblem [handelt], wie es sich nur Überflussgesellschaften leisten können"*, denn viele Menschen weltweit sind auch heute noch darauf angewiesen, dass sie (zumindest) Weizen haben, der sie satt macht. 
Im Gegensatz zu denen hungern wir nur eben nicht, und haben die Menge, die wir vertilgen, meist nicht aufgrund körperlicher Leistung "verdient".

Dass es außerdem zu einseitig ist, wenn wir uns morgens Brötchen, mittags Nudeln und abends Pizza reinpfeifen,  und deshalb auch nicht gut für unseren Darm, klingt für mich einfach einleuchtend - egal, ob Davis nun Recht damit hat, dass der moderne Weizen ungesünder ist als der "alte", oder nicht.
Das Maß spielt in der Ernährung eben eine große Rolle. Weizen ist heute, in unterschiedlicher Form, in allen möglichen Industrieprodukten drin - auch ohne dass man Getreideprodukte isst: Weizenstärke steckt als Bindemittel in vielen Saucen, Suppen und Marmelade, Weizenmehl ummantelt viele Pommes (damit die knuspriger werden) oder stabilisiert Wurstwaren, und in den meisten Pulver-Fertiggerichten findet sich Weizen sowieso.
Da gilt das gleiche wie für andere "Bösewichte" wie Salz, Zucker und Fett - wenn man halt auch noch jede Menge versteckt davon zu sich nimmt, dann liegt die Vermutung nahe, dass es in der Summe zu viel und damit zumindest schlecht für uns werden könnte.

Und wie ist das nun mit den viel besprochenen Beschwerden durch GlutenBei der Mehrheit der Betroffenen handelt es sich, ähnlich wie bei der Laktose, um eine Sensitivität. Medizinisch liegt keine ernsthafte Krankheit (wie Weizenallergie oder Zöliakie) vor, aber ihr Körper reagiert sensibel auf Weizenprodukte - oder zumindest (zu) viel davon. 
Dass man zu diesen Menschen gehört, diagnostiziert der Arzt (heute) nur per Ausschlussverfahren und aufgrund der Schilderungen des Patienten. Wenn ich das seit Jahren aufgrund meiner somatische Intelligenz weiß, reicht das als Beweis also eigentlich, zumindest wenn ich keine extremen Beschwerden habe.

Ob die Beschwerden nach Weizenkonsum aber überhaupt vom enthaltenen Gluten ausgelöst werden, da ist sich die Forschung nicht mehr sicher. Im Moment gibt es eher Untersuchungen, die nahe legen, dass es die Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs, ebenso Bestandteil von Weizen) sind, die bei vielen Menschen Verdauungsprobleme etc. auslösen. Problem: verschiedene Getreidesorten (nicht nur Weizen) enthalten unterschiedliche Mengen davon. Da wird es wesentlich komplizierter, als "einfach nur" auf jeglichen Weizen zu verzichten. 
Überhaupt ist es eben schwierig, nachzuweisen, dass einzelne Komponenten von Nahrung bestimmte Vorgänge im Körper, gar einzelne Beschwerden, auslösen - noch weniger für alle Menschen.

Wie weit lassen wir uns von solchen Kampagnen gegen einzelne Lebensmittel, die mit einfach Lösungen statt komplexen Zusammenhängen daher kommen, dennoch verunsichern? Wie groß ist die Rolle, die dabei der Kopf spielt? 
Mediziner sprechen hier sogar vom sogenannten "Nocebo": der Patient bekommt Bauchweh, obwohl er nur glaubt, dass "das böse" Gluten im Essen drin ist. 
Kann es sein, dass wir mehr und mehr verlernen, unserem eigenen Körper zu vertrauen, anstatt auf Ernährungsmaxime und den nächsten Trend reinzufallen? 

Weil ich nun mal den Luxus habe, rücke ich schon ein kleines Stück vom Weizen ab. Wahrlich nicht, um weizenfrei zu essen. Mir erschließt sich allein der Sinn von "auch mal Vollkorn essen" (Darmgesundheit, positive Stoffwechselfunktionen) - auch wenn das natürlich genauso Weizen ist und manche Menschen Vollkorn überhaupt nicht gut vertragen. 

Produkte, die mit dem Label "glutenfrei" werben, sind teilweise abstrus konstruierte Alternativen zum Ursprungs-Produkt (Spaghetti aus Maismehl *kopfschüttel* sieht sch*iße aus und schmeckt auch so).  Meiner Meinung nach sind sie in vielen Fällen ziemliche Geldverschwendung. Es gibt genügend Alternativen, die nicht immer mit dem Label "glutenfrei" werben (oder es nicht sind), aber dennoch dafür sorgen können, dass der Speiseplan abwechslungsreicher und Weizen-ärmer wird - aber dennoch lecker bleibt.  (Mein Favorit übrigens: Kamut, eine alte Weizenart. Die gibt es auch in Nudelform und sie kommt dem "normalen" Weizen meiner Meinung nach geschmacklich am nächsten. Auch gut: Nudeln aus Kichererbsenmehl. Beide sind zwar auch ganz schön teuer, aber geschmacklich toll.)

Also begreife ich meine Aufgabe so: ich sollte - für mich, und den kleinen Mann - immer mal wieder (sinnvolle) Alternativen zu Weizen ausprobieren. Und auf meinen Bauch hören. Ich nehme mir lieber vor, Kohlehydrate in möglichst unterschiedlicher Form zu essen, so wie es mir gut tut, als streng irgendeinem Ernährungs-Ratgeber zu folgen.



Quellen: Friedensnobelpreisträger Norman BorlaugKritik an Weizenwampe im Interview von Prof. Holtmeier*,  Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie, Diabetologie und Innere Medizin am Krankenhaus Porz am Rhein, und im Brigitte-Interview mit Prof. Andreas Pfeiffer, Ernährungsmediziner an der Berliner Charité, in der Pharmazeutischen Zeitung und bei wissen.de. Informationen über Weizen- und Vollkorn-Verträglichkeit bei Deutschlandradio und eine Reizdarm-Studie der Berliner Charité (Wissenschaftler untersuchen gerade, wie viele der Reizdarm-Patenten in Wahrheit weizensensitiv sind - sie gehen derzeit wohl von 30-50 % aus - und suchen ein Verfahren zur Diagnose), Definition von Weizenallergie, - sensitivität und Zöliakie von der Deutschen Zöliakie Gesellschaft, umfassender Artikel über das gesamte Thema bei Schrot & Korn.

1 Kommentar:

  1. Urban Titanium Art, Art, and Culture
    of Art, Culture and Culture, designed in titanium grey an trex titanium headphones intimate men\'s titanium wedding bands yet enchanting titanium easy flux 125 amp welder environment. Find our latest Urban Titanium titanium helix earrings Art pieces at the Art

    AntwortenLöschen